Wer weiß es nicht, Schildkröten sind sehr alte Lebenwesen, deshalb werden sie nicht umsonst oft als „Lebende Fossilien“ bezeichnet. Diese Lebewesen sind während der Trias-Epoche, wahrscheinlich bereits schon zu Beginn des mesozoischen Zeitalters, entstanden. Dennoch haben sie sich relativ wenig verändert und man kann sagen, dass sie recht konservativ und langlebig sind. Bereits in der Kreidezeit gab es Exemplare, die unseren heutigen Schildkröten sehr ähnlich waren. Die Formen aus dem Tertiär ähnelten unseren heutigen (rezenten) Schildkröten noch viel mehr und man geht davon aus, dass fast alle rezenten Schildkröten von ihnen abstammen. Wer es noch genauer wissen möchte, muss sich diverse Handbücher der Paläontologie besorgen; die ersten sind allerdings fast 90 Jahre alt. Es gibt verschiedene Werke von ABEL (1919), BROILI (1923), WOODWARD (1932), BERGOUNIOUX (1955), V. HUENE (1956) sowie weitere aus den 60er-Jahren. Besonders hervorzuheben ist das Werk „Fossilium Catalogus“ von KUHN, 1964.


Stylemis nebrascensis, Unter-Oligozän, Oreodon Beds, Big Badlands, South Dakota (der vollständige Carapax)

Vor vielen Millionen Jahren muss eine ökologische Anpassung erfolgt sein. Es wird davon
ausgegangen, dass die ersten und ältesten Schildkröten reine Landschildkröten waren, wobei ein sekundärer Übergang ins Wasser stattgefunden haben muss (lt. KREFFT 1926). Hieraus entwickelten sich dann insgesamt vier Gruppen: Süßwasserschildkröten, Landschildkröten, Wasserschildkröten und Seeschildkröten.

 

Süßwasserschildkröten waren im Tertiär bis heute immer sehr zahlreich und lebten in Flüssen, Seen, Tümpeln und Sümpfen. Im Mesozoikum umfassten diese fast alle nicht im Meer lebenden Formen. Seeschildkröten waren im Mesozoikum, im Oberen Jura und besonders in der Kreidezeit noch zahlreicher vertreten, leider sind diese noch vor dem Tertiär ausgestorben.

Allgemein sind die Untersuchungen der fossilen Sc
hildkröten überaus schwierig, da die Bestimmungen nur am Skelett vorgenommen werden können und demnach hauptsächlich auf der Morphologie des Panzers beruhen. Oft wurden nur unvollständige fossile Reste gefunden, die die Untersuchungen enorm erschweren. Hinzu kommt, dass viele fossile Schildkröten keine rezenten Vertreter mehr besitzen und Folgerungen daraus auf die fossilen Formen fast unmöglich sind. Noch schlimmer ist, dass einige Funde bis heute nicht bestimmbar (incerta) sind, da sie nicht verglichen werden können. Weitere Schwierigkeiten treten in der ungewöhnlich großen Variabilität auf. Dazu kommen nicht ausschließbare Anomalien sowie Abweichungen im Bau des Panzers. Dies ist seit 1819 (Bojanus) bekannt und führte schon zu vielen Irrtümern. Daher bedarf die Taxonomie der fossilen Schildkröten auch besonderer Sorgfalt. Dennoch ist auch bei neuen Funden immer wieder mit Fehlern und einer Revision der Systematik zu rechnen.


 Hylaeochelis menkei, Unter-Kreide: Berriasium, Bückeburg, Niedersachen, Deutschland - bereit gestellt durch August Ilg


Stylemis nebrascensis, Paleogen: spätes Oligozän, Badlands National Park, South Dakota, USA - bereit gestellt durch August Ilg

Die Abstammung der fossilen Schildkröten unterliegt ebenfalls verschiedenen Meinungen der Forschung. COPE (1896) suchte die Vorfahren bei den Uramphibien (Stegocephalia). Als Ursache wurde dies mit Gehöröffnungen - die höheren Wirbeltieren entsprachen – Erkennbarkeit einer Reduktion von Knochen der Temporalregion, fehlende Zähne, flache Rippen und ähnlicher Schultergürtel, begründet. Die Uramphibien hatten ebenso einen epithekalen Panzer. PARSON (1959) und WOODWARD (1887) ordneten die Schildkröten eher den Schwanzlurchen (Caudata) zu und begründeten dies mit dem Bau der Nasenhöhle, welche von allen anderen Reptilien abwichen. WOODWARD sowie BAUR (1887) waren aber auch der Ansicht, dass diese von den Meeresreptilien (Plesiosauridae Ordnung Sauropterygia) abstammen könnten. Diese Begründung fand sehr lange eine weite Verbreitung. VALLÉNS (1942) führte hingegen eigene embryologische Forschungen des Panzers durch und berücksichtigte nicht nur die bisherigen paläontologischen Daten. Er war der Meinung, dass der Schultergürtel in früheren Entwicklungsstadien dem der Uramphibien der Familie Plagiosauridae ähnelte. JAEKEL (1902, 1903) suchte ebenfalls die Abstammung von den Sauropterygia, allerdings bei der Gruppe Placodontia. Er änderte seine Meinung 1916-1918, als er die fossilen Überreste von Triassochelys entdeckte. BOULENGER (1918) leitete die Abstammung von den Brückenechsen (Rhynchocephalia) her und begründete dies mit den ähnelnden Schläfenöffnungen wie bei der rezenten Brückenechse aus Neuseeland (Sphenodon punctatus). Andere Paläontologen suchten die Vorfahren sogar bei säugetierähnlichen Reptilien (Theromopha). Weitere, viele Forscher suchten dann die Abstammung bei den primitiven Landsauriern (Cotylosauria). CASE (1905, 1911) vertrat als Erster die Meinung, dass Schildkröten als Vorfahren von den Diadectidae abstammen. Er glaubte, dass diese so viele Gemeinsamkeiten hatten, dass er beide Reptiliengruppen in eine getrennte systematische Gruppe (Chelydrosauria) stellte. CASE revidierte dies aber in einer anschließenden Arbeit und zählte die Diadectidae wieder zu den Cotylosauria. Gleiche Meinung vertrat auch OLSON (1947). Eine weitere Forschungsgruppe war der Auffassung, Schildkröten stammten von der Familie Pareiasauridae ab. JAEKEL stellte sich mit seiner Morphologie über Triassochelys dagegen, da diese viel zu stark und massiv gebaute Landtiere waren. Er verglich diese mit der Gattung Sclerosaurus, die Triassochelys besonders ähnelten. JAEKEL betrachtete diese aber nicht als direkte Vorfahren, sondern eher als Ausgangsform unbekannter, hypothetischer „Protestudinata“. ABLE (1919) und HOFSTEN (1949) vertraten die Meinung, dass Schildkröten während ihrer phylogenetischen Evolution durch unbekannte höhere Entwicklungsstadien der Reptilien ihren eigenen Weg fanden und sich daher nicht direkt von den Cotylosauria abgezweigt hätten… usw.



Es gibt viele Meinungen, die auf Forschungsergebnissen beruhen und auch begründet wurden, jedoch steht fest, dass sie vor (über) 230 Millionen Jahren entstanden sind und in der Klasse der Reptilien die Ordnung der Chelonia bilden. Dennoch ist bis heute ungeklärt wovon sie genau abstammen. Die höchste Wahrscheinlichkeit liegt darin, dass sie sich während ihrer Entstehung von allen anderen Reptilien „abgekapselt“ haben und daher als „unvermittelt“ gelten. „Unvermittelt“ daher, da bereits die primitiven Schildkröten durch ihre Anatomie eine große Ähnlichkeit mit den rezenten Schildkröten aufwiesen. Jedoch das gewisse „missing link“ – das fehlende Bindeglied – welches sie mit anderen Reptilien in Verbindung bringt, fehlt unbekannterweise. Hoffen wir, dass man irgendwann des Rätsels Lösung findet! Bekannt ist aber, dass die fossilen Schildkröten hauptsächlich im Wasser lebten. Die Entwicklung der Land- und Meeresschildkröten sind daher eher eine Ausnahme.


Hylaeochelis menkei (ROEMER 1836) - älteres Synonym dieser Schildkröte ist Emys menkei (ROEMER 1836), Unterkreide, Wealden, Bückeburg, Niedersachsen (Steinkern der Carapax-Ausfüllung, Aufsicht)


Hylaeochelis menkei (ROEMER 1836) - Steinkern der Carapax-Ausfüllung, Frontalansicht


Nach der Linnéschen Systematik (Einteilung von Tieren in Stämme) werden Reptilien als lungenatmende, kriechende und wechselwarme (poikilotherme) Wirbeltiere klassifiziert. Demnach stammen Reptilien von den Sauropsida ab, die sich in zwei Zweige (Schildkröten und Diapsida) aufteilen. Die Diapsida unterteilen sich nochmal in Archosauria und Lepidosauria. Aus den Lepidosauria entwickelten sich die Squamata (Echsen und Schlangen) und Rhynchocephalia (Brückenechsen). Aus den Archosauria entwickelten sich die Crocodylia (Krokodile) und die Aves (Vögel). Das heißt, dass die Krokodile den Vögeln näher stehen als jedes andere Reptil. Das heißt aber auch, dass die Schildkröten nur im entfernten Sinne mit Krokodil und Vogel verwandt sind.


Grafik der Linnéschen Systematik zum Download


Nach der Linnéschen Definition für ein Reptil heißt das, das den Schildkörten nur ein Merkmal fehlt und zwar das Merkmal der Fortbewegung: „Reptilien bewegen sich auf dem Bauch kriechend fort“. Dies trifft für Schildkröten nicht zu, denn sie benutzen zur Fortbewegung ihre Gliedmaßen und heben dabei den Panzer vom Boden.

PD. Dr. Wolf-Ruediger Grosse (Institut für Zoologie der Martin-Luther-Universität, Halle) teilte mir mit: „Man rechnet sie nach wie vor den Anapsida zu, die sich relativ frühzeitig von den Urreptilien (Cotylosauria) abzweigten.“

Die Cotylosaurier waren demnach die Vorfahren der Sauropsida, die vor 345 Millionen Jahren entstanden sind, die ein kräftiges Skelett und einen Schädel aus massiven Knochen ohne Schläfengruben hatten. Sie bewegten sich auf dem Bauch abgestützt fort. Der Körper war vermutlich mit Schuppen oder schuppenähnlichen bedeckt. Sie legten auch ohne Zweifel die ersten hartschaligen Eier an Land und machten sich vom Wasser unabhängig. Dennoch hatten sie keinen Panzer. Es wird vermutet, dass Schildkröten eine eigene Entwicklungslinie bildeten. Dies ist wahrscheinlich auf Eunotosaurus africanus (SEELEY, WATSON 1914), ein kleiner Amniot aus Südafrika, der vor ungefähr 260 Millionen Jahren gelebt hat, zurückzuführen. Die vorliegenden fossilen Funde sind allerdings unvollständig. Eunotosaurus war vermutlich der Urahn dieser Linie, beim dem sich die Rippen begannen zu verdicken und dies so zur Panzerbildung führte. Jedoch hatte Eunotosaurus – lt. D.M.S. WATSON - einen Brustkorb mit außenliegenden Schultergürtel sowie Zähne. Ein weiteres Reptil – Captorhinus, 60 cm lang - war lt. MICHAEL LEE die Entwicklungsstufe zum Panzer. Dieses Tier hatte einen Schultergürtel, der sich innerhalb des Brustkorbs befand und auch nur insgesamt fünf Halswirbel aufwies. Captorhinus starb im Trias aus. Das nächste hierzu bedeutende Tier war ein Bradysaurus, welcher 3 m lang und viel massiver war. Seine Wirbelsäule hatte verknöcherte Knötchen, auch fünf Halswirbel, aber nur noch 14 Rückenwirbel und ein breiteres Schulterblatt. Die folgende Gattung Anthodon war wieder kleiner (90 cm), lebte vor rund 248 Millionen Jahren und wies erstmals einen Knochenpanzer auf, der durch ein Mosaik von Knochenplatten gezeichnet war. Dieser Knochenpanzer war die Vorstufe des Panzers. 30 Millionen Jahre später erschien der erste Vorfahre aller Schildkröten - Proganochelys, welches die weiterentwickelte Gattung von Anthodon war. EDWARD COPE nannte 1884 den ersten Vorfahren Proganochelys quenstedti.


Schaubild Zeitalter der Entstehung zum Download

Proganochelys, ein Vertreter der Sauropsida, hatte zu Beginn der Trias – vor 220 – 230 Millionen Jahren - schon alle Merkmale unserer heutigen rezenten Schildkröten. Er war 80 cm lang, hatte 8 Halswirbel und nur 10 Rückenwirbel, die Schulterblätter befanden sich vollständig im Brustkorb. Der Brustkorb war ein knöchernes Gehäuse. Proganochelys hatte noch kleine Zähne – wie auch die Cotylosauria – die aber wenig später verschwanden. Es kam zur Bildung von zwei Gruppen: Die eine konnte den Hals horizontal zurückbiegen, welches die Vorgänger der heutigen Pleurodia und ihr Ahne Proganochelys quenstedti waren. Die andere Gruppe konnte ihren Hals vertikal einziehen, welches die Vorgänger der heutigen Cryptodira waren. Ihr Vorgänger war Proterochersis robusta, der vor 210 Millionen Jahren lebte.


Quelle: Naturmuseum Solothurn
vlnr: Craspedochelys picteti, Tropidemys langi, Plesiochelys jaccardi
Die Sammlung des Naturmuseum Solothurn umfaßt über 600 Panzerbruchstücke. Hier wurden 7 neue Arten (sog. Holotypen) entdeckt.


Die Verschmelzung des Beckens mit dem Panzer stellt aufgrund neuer Studien (G. ROUGIER, M. de la FUENTE und A. ARCUCCI sind der Meinung, dass der erste Vorfahre Palaeochesis talampayensis (1998) gewesen sein könnte) ein ursprüngliches gemeinsames Merkmal aller Schildkröten dar. Dieses ging bei den Cryptodira wieder verloren und es entwickelte sich stattdessen eine vertikale Biegung des Halses. Dies geschah bei der Gattung Kayentachelys vor 185 Millionen Jahren. Die Gattung Platychelys – die Vorfahren der Pleurodia – entstanden vor etwa 156 Millionen Jahren. Zu den ältesten heute lebenden Schildkröten gehören die afrikanischen Arten der Pelomedusidae, die vor ca. 120 Millionen Jahren entstanden.

 
Die Abstammung der Meeresschildkröten ist viel umfassender und liegt rund 135 Millionen Jahre zu Beginn der Kreidezeit zurück. Von den ursprünglichen Schildkrötenfamilien – damals fünf – leben heute nur noch zwei, die Cheloniidae (Meeresschildkröten), die sich vor 55 Millionen Jahren entwickelten. Dermochelyidae (Lederschildkröten) bildeten sich vor 50 Millionen Jahren und umfassen heute nur noch eine lebende Art (Dermochelys coriacea). Die Emydidae (Neuwelt-Sumpfschildkröten) sind die jüngsten Vertreter und die Unterfamilie Prodocnemidinae sind die ältesten. Die Testudinidae (Landschildkröten) entwickelten sich zu Beginn des Tertiärs vor etwa 65 Millionen Jahren. Die Chelydridae (Schnappschildkröten) sind 80 Millionen Jahre alt und ähneln den Vorfahren Proganochelys sehr. Trionychidae (Weichschildkröten) sind bereits 85 Millionen Jahre alt und haben mit der Entwicklung ihren knöchernen Panzer zurückgebildet.


Chelydra murchisoni, Neogen: Ober-Pliozän, Willershausen, Niedersachsen, Deutschland - bereit gestellt durch August Ilg

Die Amphichelydia sind eine sehr alte, unter denen sich die Ausgangsformen der Cryptodira und Pleurodira sowie primitive Formen befinden, jedoch bilden sie keine einheitliche Gruppe.

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Aktuelle News aus der nature:
  • An ancestral turtle from the Late Triassic of southwestern China; pp497-501
    220 million year old fossils from southwestern China represent the most primitive turtle known, and shed light on intermediate steps in the acquisition of the unique and highly specialized turtle body plan.
    Chun Li et al.
    doi:10.1038/nature07533
  • Palaeontology: Turtle origins out to sea; pp450-451
    Various aspects of turtle evolution are the subject of vigorous debate among vertebrate palaeontologists. A newly described fossil species, the oldest yet discovered, adds grist to the mill.
    Robert R. Reisz and Jason J. Head
    doi:10.1038/456450a

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Quellen:
Dr. Marian Mlynarski, Fossile Schildkröten, 1969
Franck Bonin, Bernard Devaux, Alain Dupré, Enzyklopädie der Schildkröten, 2006/2007
Dr. Hans-Volker Karl, Dr. Gottfried Tichy, Institut f. Geologie u. Paläontologie der Universität Salzburg, 1999
PD. Dr. Wolf-Ruediger Grosse, Institut für Zoologie der Martin-Luther-Universität, Halle, 2008
August Ilg, Düsseldorf, 2008
Dr. Mike Reich, Geowissenschaftliches Museum, Göttingen, 2008
Torsten Scheyer, 2008
Dr. Edith Müller-Merz, Naturmuseum Solothurn, Schweiz, 2008
Prof. Rainer Springhorn, Lippisches Landesmuseum Detmold, 2008

Ich möchte mich bei allen Mitwirkenden recht herzlich bedanken, besonderen Dank gilt August Ilg, der mich sehr tatkräftig unterstützte, vor allem bei den abgebildeten Fotos. Natürlich bedanke ich mich auch bei Prof. Rainer Springhorn vom Lippischen Landesmuseum Detmold, der mir hiermit sein Vertrauen schenkte. Gleichen Dank gilt Dr. Mike Reich - Curator (Geology, Palaeontology, Mineralogy) & Associate Director (Museum) Geoscience Centre of the University of Göttingen, Museum, Collections & Geopark; Göttingen, Germany. Auch Dr. Grosse möchte ich danken, dass er mir so schnell und präzise geholfen hat. Ebenfalls möchte ich mich bei Dr. Müller-Merz aus Solothurn bedanken, die mir ein wundervolles Foto für diese Seite zur Verfügung gestellt hat.

www.palaeontologische-gesellschaft.de
www.naturmuseum-so.ch
www.lippisches-landesmuseum.de
www.geomuseum.uni-goettingen.de

Letztes Update: 16. Januar 2009